Klettern für die Natur und das eigene Glück

Der 53-jährige Marc Stratmann entdeckte seine Liebe für den Klettersport schon vor 30 Jahren.
Der studierte Wirtschaftsingenieur hing den Anzug an den Nagel, und entschied sich für ein Leben in der Höhe, sowohl am Felsen als auch auf Bäumen.

Mit 21 Jahren absolvierte Marc seine Zeit bei der Bundeswehr, doch das war nicht der richtige Ort
für ihn: „Ich konnte mich mit den Menschen dort nicht identifizieren, es war eine Art Sinnkrise“.
Zu dieser Zeit sah er das erste Mal den Kletter-Pionier Patrick Edlinger, auch bekannt als „Spiderman
der Schluchten“ (Freeclimb-Vater Patrick Edlinger stirbt nach Sturz von Treppe o. J.) im Fernsehen.
„Das ist ja der Wahnsinn“ und „das will ich auch machen“ waren seine Gedanken sowohl damals
als auch heute.

Der Fall wird von einer dicken Matte, welche den gesamten Boulderbereich ausdeckt, abgefangen.

Wie alles begann

Sein erster Kontakt zum Klettern entstand kurze Zeit später in einer Jugendgruppe des Deutschen Alpenvereins (DAV).
Marc, der schon als Kind immer viel auf Bäume geklettert ist, war sofort begeistert: „Ich fand es einfach geil, das war damals in Gerolstein, in der Eifel“

Aus einem glücklichen Zufall war der erste Kollege, den er bei seinem Studienstart traf ebenfalls ein
Kletterer „während des gesamten Studiums machten wir viele Touren zusammen“. Doch während des Studiums sollte er noch einen prägenden Menschen kennenlernen, den angehenden Geologen Alex.

„Seine Kenntnisse über die landschaftliche Geschichte machte das Klettern nur noch interessanter, es entstand ein tieferer Bezug“.
Das war der Startschuss für immer größer werdende Expeditionen und somit auch komplexere Organisation und Planung.

„Sowohl der Schwierigkeitsgrad als auch die eigenen Ansprüche stiegen immer weiter an“.
Folglich fing Marc an gezielt zu trainieren, und fand während seiner Ausbildung zum Sportkletterübungsleiter beim DAV den Kontakt zu leistungsorientiertem Klettern. „Es war zwar erst 1990, trotzdem fingen wir mit den ersten Videodokumentationen an, um uns immer weiter zu verbessern“.

Ihre Touren führten sie vom Elbsandstein in der Nähe von Dresden bis nach Verdon, die größte
Schlucht Europas mit einer Höhe von bis zu 350 Metern. (vgl. Verdonschlucht – Gorges du Verdon
in der Provence o. J.)

Um am Felsen zu performen, wird in der Halle trainiert.

„Wir wollten in die wirklich großen Wände“

Damit war vor allem das „Kletter-Mekka“ im Yosemite-Nationalpark gemeint, denn dort steht
der berühmte „El Capitan“ mit einer stolzen Wandhöhe von bis zu 1000 Metern. (vgl. El Capitan: Klettern und klicken Sie sich durch die 1000 Meter hohe Granitwand o. J.)

„Bei unserer ersten Tour zum „El Cap“ war ich einfach sprachlos, er ist ein absoluter Gigant,
der wie ein Wächter über das Tal wacht“.

Auf diesem ersten Trip war der Respekt enorm, und die Freunde wagten sich noch nicht an den
Giganten, immerhin ist er ein Vielfaches höher, als alles vergleichbare in der Welt, schwärmt Marc
auch noch viele Jahre später.

1996, zwei Jahre später, fühlte Marc sich bereit und bestieg seine erste Route auf dem „El Capitan“,
dabei verbrachte er sechs Tage in der Wand.

Es folgte eine zweite Tour mit einer Dauer von fünf Tagen, und eine dritte mit satten acht Tagen
und einer zusätzlichen Hürde: „Mein Kumpel hatte seine Kletterschuhe fallen lassen, also mussten wir
uns meine teilen“.

Ein „Mantle“ (sich zu einem Stand aufschwingen) ist eine besonders schwierige Bewegung.

„Sowohl der Schwierigkeitsgrad als auch die eigenen Ansprüche stiegen immer weiter an“

Eine neue Perspektive


Doch wie übernachtet man in einer 1000 Meter hohen Felswand?

Die Antwort darauf ist das so genannte Portaledge, eine Konstruktion aus Aluminiumstangen
mit einem Stoffüberzug, die mit Haken im Felsen befestigt wird. (vgl. Weiß o.J.)

Marc: „Ich begann selbst Portaledges zu bauen, und lernte zum ersten Mal Baumkletterer kennen,
indem ich sie ihnen verkaufte“

Bald wurde er von den Baumkletterern gefragt, ob er sie auf einen Job begleiten wolle. Es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen, mit den Menschen und auch der Arbeit, erinnert sich Marc.

Marc zieht seine Steigeisen an.


Er traf eine Entscheidung, die er bis heute nicht bereut: „Ich habe keinen Sinn im Wirtschaftsingenieurswesen gesehen, und fand das Baumklettern einfach geiler“ Er machte sich direkt selbstständig und arbeitete die ersten Jahre als Freelancer bei
anderen Baumkletterern, bis er schließlich eigene Aufträge annahm.

Doch der Beruf der Baumpflege war damals etwas völlig neues, und die deutsche Bürokratie forderte Regeln und Ordnung, denn: Kettensäge und Seil hört sich im ersten Moment gefährlich an. Aufgrund dessen gründete Marc zusammen mit
anderen Baumkletterern die Arbeitsgemeinschaft „Neue Baumpflege“ und Arbeitsverfahren wurden in Form gebracht.

„Da Baumpflege keine klassische Ausbildung ist, gründeten wir mit sieben Mann eine Baumkletterschule und bildeten uns selbst zu Ausbildern aus, es war schließlich niemand anderes da“, erklärt Marc mit einem Lächeln im Gesicht, und es hat
sich gelohnt: „Ich habe mein Hobby zu meinem Beruf gemacht“.

Die nächste Sicherung wird vorbereitet.

Das Berufsbild

Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Arten von Aufträgen: Die Pflege der Bäume durch kleinere Eingriffe, aber auch Fällungen.

Zur Pflege des Baumes werden beispielsweise Mykorrhiza-Pilze gespritzt, die eine Symbiose mit
dem Baum
bilden, und ihm überschüssige Nährstoffe und Wasser abgeben (vgl. Mykorrhiza-Pilze o. J.). „Wenn man früh genug handelt, kann so ein austrocknen verhindert, aber auch schädliche Pilze bekämpft werden“.

Manchmal werden kleinere Arbeiten am Baum auch der Optik Willen durchgeführt, aber dringend
baumverträglich: „Rabiate Eingriffe lehne ich ab, da bin ich weg!“.

Bei Dickköpfigen Kunden versucht Marc Überzeugungsarbeit zu leisten, und lehnt den Job lieber ab,
anstatt „einen Baum unnötig zu verschandeln“.

Balance-Akt in ca. 15 Metern Höhe

Fällungen führt er nur bei erkrankten Bäumen durch, oder wenn sie z .B. aufgrund des Standortes keine Zukunft mehr haben. Marc erklärt: „Meine Einstellung ist 100% pro Baum“. Vor allem die Trockenheit der letzten Jahre setze der Natur
besonders zu: „Der Klimawandel ist in meinem Beruf ganz klar bemerkbar, so sind die Phasen der Trockenheit aber auch der Nässe immer länger, was viele Bäume nicht verkraften“. Aber auch Windstärken und Stürme nehmen immer weiter
zu, und sorgen für Beschädigungen an den Bäumen: „oft müssen zu trockene Äste abgesägt
werden, damit sie keine Gefahr mehr für Menschen darstellen“

Päuschen muss sein!

„Ich habe mein Hobby zu meinem
Beruf gemacht“

Seine Technik

Um einen Baum zu besteigen, wirft Marc zuerst ein kleines Gewicht, befestigt an einem Seil, durch
eine stabile Astgabel und zieht das Hauptseil daran hoch.

Noch am Boden legt er seinen Klettergurt samt einiger Karabiner, Seilen, einer Umlenkrolle und
einer Handsäge an. Dazu kommen noch zwei Steigeisen, mit dessen Hilfe er kombiniert mit
einem Seil um den Stamm gelegt auch Stellen ohne helfende Äste heraufklettern kann. Ein Helm samt Gesichtsschutz und Handschuhe gehören zur Grundausrüstung. Die Motorsäge kommt zum Schluss, sie wird an einem Seil heraufgezogen.

Der Ast wird kontrolliert fallen gelassen, um nichts und niemanden zu gefährden.


Einmal mit der Arbeit begonnen hilft ein Mitarbeiter am Boden herabfallende Äste aufzusammeln
und Ordnung zu halten. „Bei einer Fällung wird der Baum von der Krone an Stück für Stück gekürzt, die dabei herabstürzenden Äste können bei genügend Platz einfach fallen gelassen werden“, erläutert Marc. Falls jedoch etwas beschädigt werden könnte, wird der Ast vorher mit einem Seil befestigt, und nach dem
absägen von dem Mitarbeiter am Boden über eine am Baum befestigte Winde sicher abgeseilt.

Häufig werden die abgesägten Äste nach der Arbeit gehäckselt, und als Dünger für andere
Pflanzen genutzt: „so gehen die Nährstoffe nicht verloren“.

Falls nach einer Fällung größere Holzstücke übrig bleiben, spaltet Marc es mit Hilfe eines hydraulischen Holzspalters: „Ich nutze das Holz um mein Haus zu heizen, nichts wird verschwendet“.

„Ich gebe mein Wissen
und meine Erfahrung
weiter, und so schließt
sich der Kreis“

Klettertrainer

Seit ca. zwei Jahren ist Marc nebenberuflich Klettertrainer in der Bergstation in Hilden. Dort trainiert er talentierte Kinder und Jugendliche, von denen manche an ihren ersten Wettkämpfen
teilnehmen. „Ich gebe mein Wissen und meine Erfahrung weiter, und so schließt sich der Kreis“.

Doch auch Marc selbst trainiert noch regelmäßig in der Kletterhalle, um in Form zu bleiben. Dabei gibt er sich längst nicht mit mittelmäßig schweren Routen zufrieden, er geht noch immer bis an seine Grenzen.

Mit den Jugendgruppen macht Marc auch Ausflüge an den Fels in der Natur, doch dort ist
besondere Vorsicht geboten: „Ich muss Verantwortung übernehmen, am Fels kann schließlich
auch immer etwas passieren“. Trotzdem ist er der klaren Meinung: „Das ist eine wichtige Erfahrung
für die Kinder“
. So hilft Marc die nächste Generation von Kletterern auszubilden und vorzubereiten.

Quellenverzeichnis


El Capitan:
Klettern und klicken Sie sich durch die 1000 Meter hohe Granitwand (o. J.) stern.de [online]
Verfügbar unter https://www.stern.de/reise/die-welt-der-gipfelstuermer/el-capitan—
klettern-sie-durch-die-1000-meter-granitwand-7648572.html
(Zugegriffen am 03.06.2021)


Freeclimb-Vater Patrick Edlinger stirbt nach Sturz von Treppe (o. J.) [online]
Verfügbar unter https://www.sportalpen.com/patrick-edlinger-tot.htm
(Zugegriffen am 03.06.2021)


Mykorrhiza-Pilze (o. J.) [online]
Verfügbar unter https://www.mein-schoener-garten.de/gartenpraxis/pflanzenschutz/
mykorrhiza-pilze-12091
(Zugegriffen am 03.06.2021)


Verdonschlucht – Gorges du Verdon in der Provence (o. J.) provence-info.de
(Zugegriffen am 03.06.2021)


Weiß, M. (o. J.)‚ Übernachtung in Portaledge – Schlaf nur für Schwindelfreie Süddeutsche.de [online]
Verfügbar unter https://www.sueddeutsche.de/reise/uebernachtung-in-portaledge-schlaf-nur-fuerschwindelfreie-1.1437133
(Zugegriffen am 03.06.2021)

Ein Kommentar

  1. Toller Bericht! Super Bilder und sehr schöner Text!

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